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Lüdenscheider Zeitbilder
 

1933-1939: Nationalstolz und Terror: Der Nationalsozialismus 1933-1939

Bürgermeister: Dr. Ludwig Schneider 1931 - 35, Karl Schumann NSDAP

Foto: Auf einer Strasse marschieren Mädchen und junge Frauen. Im Hintergrund Häuser.
Schon 1933 marschierte der Bund Deutscher Mädel aus Anlass des Sommersonnenwende-Festes 1933 vor Haus Dicke zum Strassenstern.

 

Die schweren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krisen 1929 - 1933 führten dazu, dass der Reichspräsident den Parteivorsitzenden der Nationalsozialisten Adolf Hitler am 30.1.1933 zum Reichskanzler ernannte. In vielen Städten fanden nationalistische Feiern statt, dagegen in Lüdenscheid eine Protestveranstaltung der KPD, bei der Hitler als "Blutshund" bezeichnet wurde. Dagegen schritt die Lüdenscheider Polizei nicht ein. Wegen des "Verstoßes" gegen die staatliche Obrigkeit beschwerte sich die Lüdenscheider NSDAP, die bis zum März 1933 nicht im Stadtrat vertreten war, beim Bochumer Polizeipräsidenten.

Foto: Eine Schulklasse mit ihrem Lehrer.
Jüdische Kinder aus Lüdenscheid (hier ein Foto von 1934 mit ihrem Lehrer) wurden ausgeschlossen.

 

Der kritisierte den hiesigen Polizeichef Rüdiger und ernannte Polizeihauptmann Ranocha schon am 22.2.1933 zum neuen Leiter. Von nun an ergänzten 28 Lüdenscheider SA-, SS- und Stahlhelmmitglieder als Hilfspolizisten die 31 Mann starke Polizei, um ihre Schlagkraft zu erhöhen und den Einfluss der teilweise sozialdemokratisch geprägten Lüdenscheider Polizisten zu unterdrücken. Kommunisten, Juden, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und viele andere Bürger, die der NS-Einheits- und Volksvorstellung nicht entsprachen, wurden brutal verfolgt. Schon Anfang März wies die Polizei neun Kommunisten in das Konzentrationslager Lippstadt-Benninghausen ein. Der große Boykott gegen jüdische Geschäfte wurde am 1.4.1933 von der SA durchgeführt und von der Polizei toleriert. In dieser Kombination verliefen die meisten Verfolgungsmaßnahmen.
Als Polizeihauptmann Ranocha im Juni nach Bochum zurückgerufen wurde, lehnten die schon allein bestimmenden Nationalsozialisten im Stadtrat die Rückkehr des alten Polizeileiters Rüdiger ab. Zum 1. August übernahm der SA-Brigade- und Standartenführer Escher die Leitung der Lüdenscheider Polizei. Mit ihm und der SA konnten die Nationalsozialisten ihre Politik durchsetzen. Da er nicht alle Qualifikationen besaß, wurde er am 1. April 1934 von dem parteilosen Polizeikommissar Poppe Jansen abgelöst, der bis 1941 die hiesige Polizei leitete. Als Katholik verfolgte er die Kommunisten; er versuchte aber, die Unterdrückung der jüdischen Bürger abzuschwächen.
Die Nationalsozialisten waren bis zur Kommunalwahl am 12. März nicht im Stadtrat. Durch sie erhielten die NSDAP 13 Sitze, die Sozialdemokraten 8, die Kommunisten 6 und die bürgerliche Arbeitsgemeinschaft 5 von 35 Sitzen. In der Reichstagswahl vom 5. März hatten 44 % aller Deutschen für die NSDAP gestimmt. In der Stadt Lüdenscheid waren es 33 % und im Amt Lüdenscheid 42 %. Mit der "Reichstagsbrandverordnung" vom 28.2.1933 und dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" am 23.3.1933 (Ermächtigungsgesetz) hatten die Nationalsozialisten dank der Unterstützung der Konservativen (DNVP, DVP, Zentrum) die demokratische Gewaltenteilung zwischen Reichstag/Parlament und Regierung beendet und die Diktatur der Exekutive (Polizei, Heer,Verwaltung u. a.) gegen den Schutz der Menschenrechte durchgesetzt.

Foto: Eine muskulöse nackte männliche Figur kniet mit einem Bein auf einem Sockel. In der linken Hand einen Bogen.
1937 schuf Georg Kolbe den "Großen Wächter", der in der Buckesfelder Kaserne aufgestellt wurde, um als Vorbild für den kämpferischen Deutschen zu dienen.

 

In Lüdenscheid führte der Streit um die Ehrenbürgerschaft für den Reichspräsidenten Hindenburg und den Reichskanzler Hitler im April 1933 zum Protest der SPD, die der Stadtverordnetensitzung fernblieb. Das nahmen die NSDAP-Verordneten zum Anlass, sie auszuschließen und mit den bürgerlichen Parteien Hitler zum Ehrenbürger zu ernennen. Im Juni wurden alle Parteien von der NSDAP verboten, weil die Vielfalt der Demokratie nicht zum Prinzip "Ein Volk, ein Reich, ein Führer" passte. Zum "nationalen Aufbruch" schlossen sich auch die Gewerkschaften zusammen und veranstalteten mit 10.000 Teilnehmern die größte Maifeier üdenscheids. Am folgenden Tag besetzten SA und SS die Büros, verhafteten die führenden Kräfte und schufen mit der NSDAP die Nationale Arbeitsfront, die den Interessen der Staatspartei und der Unternehmer diente und mit Urlaubsreisen die Arbeiter für sich gewinnen wollte. Die nationale Aufbruchstimmung ließ die Schulleiterkonferenz im Mai für alle Schulklassen Lüdenscheids Hitlerbilder bestellen. Im gleichen Monat mussten alle öffentlichen Büchereien - der Stadt, der Gewerkschaften und der Kirchen - Bücher von Liberalen, Juden, Pazifisten, Kommunisten und geächteten Autoren entfernen. (In manchen Städten gab es am 10.5.1933 Bücherverbrennungen.) Dadurch sank der Bestand der Stadtbücherei laut Protokollbuch des Beirats für Volksbildung von 14.500 auf 10.666 Bücher. Ein Teil der aussortierten Bücher der Stadtbücherei und der Gewerkschaftsbücherei wurde am 24.1.1934 von der Lüdenscheider Feuerwehr verbrannt. (vgl. Kap. 16, Foto)

Die Zahl der Arbeitslosen sank dank vieler öffentlicher Aufträge und der Aufbruchsstimmung. Die Mehrheit der Bevölkerung vertraute nach den Verlusten des 1. Weltkriegs und den gewaltsamen Konflikten der Weimarer Demokratie dem Mann, der eine positive Zukunft versprach: Stärke durch nationale Aufrüstung statt Frieden durch internationale Zusammenarbeit, wirtschaftlicher Aufschwung durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Aufrüstung statt eines zivilen Aufbaus wie in den USA (New Deal), Befehl und Gehorsam statt Demokratie und Diskussion.

Lüdenscheid profitierte rasch von einigen Zivil- und vielen Rüstungsaufträgen und dem Bau der drei großen Kasernen am Buckesfeld, am Baukloh und in Hellersen, in die 3 000 Soldaten zogen. Durch das größte Bauprojekt seiner Geschichte wurde Lüdenscheid erstmalig Garnisonsstadt und blieb es 58 Jahre lang. Die sichtbaren wirtschaftlichen Fortschritte und die internationale Anerkennung und Wertschätzung durch die Olympischen Spiele förderten die große Zustimmung zu den Nationalsozialisten, auch wenn sie in Deutschland mehr als 20 000 Gegner inhaftierten und mehr als 500 bis 1936 ermordeten. Die Berichte der Stadtverwaltung teilen folgende Zahlen der NS-Polizeidiktatur mit, hinter denen sich Not und Tod verbergen:

In den Jahren 1932 - 1940 Festgenommene:
1932   1933   1934   1935   1936   1937   1938   1939   1940
 108    299    146    272    285    348    430    251    216

Geht man von durchschnittlich 120 Kleinkriminellen pro Jahr aus, dann sind pro Jahr 30 - 300 politische Häftlinge in Lüdenscheid zu registrieren. Die Forschungen über Düsseldorf, Würzburg und Trier zeigen, dass die Inhaftierungen je zur Hälfte von den Behörden, der SA und der SS veranlasst wurden und zur Hälfte von den Nachbarn.
Die große Mehrheit erlebte die nationalsozialistische Politik als Fortschritt und Überwindung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheiten der Demokratie. Die Mehrheit genoss die völkische und nationale Hochstimmung in den Massenaufzügen und fühlte sich sicherer als zuvor. Dagegen musste jeder um sein Leben fürchten, der Freiheit, Frieden und Menschenrechte forderte oder zu den verfolgten Gruppen zählte. Mehr als 55 Lüdenscheider Kommunisten wurden in Werl verurteilt, in der Steinwache zu Dortmund und in den frühen Konzentrationslagern misshandelt. Viele Sozialdemokraten hielten noch durch verbotene Informationsschriften zusammen, bis 17 von Ihnen im Prozess von Hamm 1936 verurteilt wurden, darunter auch der spätere Oberbürgermeister Erwin Welke. Nach der Vertreibung von mehr als 30 jüdischen Freiberuflern und Unternehmern aus ihrem Berufsleben und der Auflösung der jüdischen Gemeinde 1936 wurden die zwei letzten jüdischen Geschäfte in der Knapperstr. 7 und 17, Lebenberg und Ripp, am Morgen des 10. Novembers 1938 von der SA zerstört. Die Polizei inhaftierte die Geschäftsbesitzer im Alten Rathaus und deportierte sie ins Konzentrationslager Sachsenhausen.

Foto: Eine Lüdenscheider Geschäftsstrasse. Ein Geschäft mit dem Schriftzug 'D. Lebenberg'
Zwei Jüdische Geschäfte gab es in Lüdenscheid noch, die in der Reichpogromnacht zerstört und geplündert wurden: Lebenberg und Ripp (Knapperstr. 7 und 17). Die Stadt richtete in dem jüdischen Textilgeschäft L. 1939 das Offiziers-Cafe 'Zum Ritter' ein.

 

Foto: Ein Zeitungsartikel Text: 'Berechtigte Empörung - Die wohlverständliche Empörung, die sich in vielen Städten des Reiches über die Folgen des feigen Attentates eines Juden in Paris in Kundgebungen Luft machte, äußerte sich auch in Lüdenscheid in Eingriffen gegen jüdische Geschäfte. Die beiden einzigen jüdischen Geschäfte, die bisher noch in der Stadt bestanden, waren das Konfektionsgeschäft von D. Lebenberg, Inh. O. Cahn, Knapperstrasse, und das ebenfalls in der Knapperstrasse befindliche Kleidergeschäft von Jul. Ripp. Gegen diese beiden Geschäfte richtete sich die begreifliche Volkswut: In der Frühe des gestrigen Tages wurden sämtliche Schaufensterscheiben dieser Geschäfte eingeworfen. Die ausgestellten Waren blieben unangetastet. In Verbindung mit diesen Vorgängen wurde eine Anzahl jüdischer Personen in Schutzhaft genommen.' (Quelle: Stadtarchiv Lüd./ Lüdenscheider Generalanzeiger 11.11.1938)
Der Zeitungsartikel über die Pogromnacht zeigt, wie die Propaganda die Presse und das Denken der Menschen beherrschte.

 

Der Zeitungsartikel spiegelt die Propaganda und die völkische Weltanschauung. Denn die beiden Läden wurden von der SA ausgeplündert, die glaubte, den Willen des Volkes auszuführen, so wie es in der Presse zu lesen war. Kein Lüdenscheider Zivilist war beteiligt und keiner leistete Widerstand. Vielmehr ?arisierte? die Stadt das Geschäft Lebenberg und richtete dort für die Soldaten die Gaststätte ?Ritter am Markt? ein, deren Namen und Gründung das Denken der Zeit spiegelte.

Das erste Todesopfer der NS-Gewaltherrschaft in Lüdenscheid war vermutlich eine Frau mit Behinderungen, die wegen einer fehlerhaften Zwangssterilisation schon vor dem Euthanasiegesetz im hiesigen Krankenhaus ums Leben kam. Mindestens 209 Menschen wurden hier vor dem Krieg in der Zusammenarbeit des Gesundheitsamtes, des Erbgesundheitsgerichts, der Polizei und des Krankenhauses zwangssterilisiert, woran jeder lebenslänglich litt. 27 Lüdenscheider Ärzte arbeiteten nach Angaben des Gesundheitsamtes mit. Die Schulleiter der evangelischen und katholischen Hilfsschule sollten ebenfalls mitwirken.
Als sie sich dagegen wehrten, wurden sie 1934 entlassen und die beiden Schulen unter der Leitung eines nationalsozialistischen Rektors vereinigt. Dem stimmten die Pfarrer beider Kirchen zu. Im Jahrbuch der Caritaswissenschaften (Sozialwerk der katholischen Kirche) von 1937 heißt es dazu: Die Nürnberger Gesetze vom 15.9.1935 ?sollen aber nur die Vorstufe, die unerlässliche Rodungsarbeit sein. Die sogenannte ?ausmerzenden? Maßnahmen gehen nur einzelne Volksgenossen an, Geisteskranke, Erbkranke, Trinker, Verbrecher, geistig Gestörte.? Nach 1945 wurde kein Richter und kein Arzt deswegen angeklagt und nur ein Bruchteil von Mitarbeitern der Euthanasie.

Foto: Mitglieder von NSDAP-Organisationen räumen Schnee.
Mitglieder von NSDAP-Organisationen packten überall mit an: hier beim Räumen der oberen Altenaer Str., wo heute links das Sternforum steht. Im Hintergrund ist das Kaufhaus Alsberg zu sehen, wo sich heute Sinn und Leffers befinden.

 

Alle Vereine mussten sich der Führung der Nationalsozialisten unterstellen und Juden ausschließen: z. B. ab März 1933 die Kleingärtnervereine, ab April 1933 die Kultur- und Sportvereine. Juden wurden ausgeschlossen 1933 von Badeanstalten, 1938 von Schulen, Kinos, Theatern, Opern und Konzerten, 1939 vom Besitz eines Radios, 1940 vom Besitz eines Telefons und 1941 von allen Büchereien. Ab 1942 durften sie keinen Kuchen, keine Zeitungen und keine Zigaretten kaufen. Verkehrsmittel durften von ihnen nicht genutzt, Haustiere nicht gehalten, elektrische Geräte, Fahrräder, Schreibmaschinen und Schallplatten nicht mehr besessen werden. Ab Dezember 1938 durfte kein Jude mehr einer regulären Arbeit nachgehen und musste jeder der Zwangsarbeit der Arbeitsämter folgen. Nach zwei mündlichen Aussagen musste ein Jude mit Judenstern, der im September 1941 zur Pflicht wurde, 1941/42 die Hochstraße kehren.
Alle Jungen mussten laut Gesetz 1936 der Hitlerjugend beitreten, die ihr Zentrum im Haus der evangelischen Jugend an der Friedrich-Wilhelm Straße hatte, das nach dem Verbot der freien und kirchlichen Jugendgruppen die Stadt der evangelischen Kirche 1935 abgekauft und den Nationalsozialisten gegeben hatte.
Die Mädchen mussten Mitglieder des BDM (Bund Deutscher Mädel) werden, der sich zeitweise in der Kerksighalle traf. Stolz meldete die katholische Volksschule 1937, dass 98 % ihrer Schüler Mitglieder der Hitlerjugend waren. Die geselligen und national gestalteten Gruppenstunden fanden die Zustimmung der Mehrheit. Wer nicht einverstanden war, spielte eine Doppelrolle, hielt sich fern oder übte Kritik mit dem Risiko, auch als Jugendlicher von der SA oder der Polizei verhaftet und in ein Konzentrationslager eingewiesen zu werden.



Foto: Div. Ehrenabzeichen aus der Zeit des 'Dritten Reiches'.
Mutterkreuze, Hakenkreuze, Militär- und Zivilabzeichen gehörten zu den Spezialitäten der Lüdenscheider Metallindustrie.

 

Foto: Eine übergroße männliche nackte Figur liegend im Hintergrund. Im Vordergrund drängen sich uniformierte Männer.
Im März 1935 weihten viele tausend Lüdenscheider das Denkmal "Erwachender Jüngling" von Willy Meller ein, der als nationalsozialistischer Künstler auch die Ordensburg Vogelsang (Eifel) gestaltete.

 

Viele großartig inszenierte Ereignisse prägten das städtische Leben: die nationalsozialistischen 1. Mai-Feiern, die national gestaltete Feier des Lutherjahres 1933 (450. Geburtstag), die Errichtung des Gefallenendenkmals "Der erwachende Jüngling" im April 1935, die Eröffnungsfeiern der drei Kasernen 1935 - 38 und viele Massenveranstaltungen, die eine große Dynamik vermittelten. Zahlreiche Rüstungsaufträge führten seit 1933 zur ersehnten Vollbeschäftigung und zu hohen Gewinnen in den Firmen und der Stadt:

Lüdenscheider Gewerbesteuer der Jahre 1933 - 1944 in 1.000 RM:
1933   1934   1935   1936   1937   1938   1939   1940   1941   1942   1943   1944
 273    409    462     55    ?    1.213  1.940  2.421  2.608  3.203  2.904  2.896

Die Gewinne der Unternehmen und der Stadt waren nie so groß wie in der Zeit der Nationalsozialisten. Gleichzeitig gab es nie so viele Qualen und Tote. Adam Tooze benennt die Zusammenarbeit der Unternehmen mit den Nationalsozialisten die "Ökonomie der Zerstörung". 1933 wurden von mehreren Unternehmen die Busch-Jäger Lüdenscheider Metallwerke AG gebildet. Sie standen unter dem Einfluss von Hellmut Röhnert, der im Freundeskreis Reichsführer SS und in den Aufsichtsräten von Junker Flugzeug- und Motorenwerke AG und Rheinmetall-Borsig AG saß.

   
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1939-1945: Der Zweite Weltkrieg 1939-1945:
Vernichtung an der Heimat- und Kriegsfront

Bürgermeister: Karl Schumann 1935 - 44 NSDAP, Otto Hagedorn 1944 - 45 NSDAP

Foto: Eine lange Holzbaracke an einer Strasse.
Die Frendarbeiterbaracken an der Altenaer Str. wurden für Ostarbeiter der Firma Enders errichten.
Es gab mehr als 30 Baracken mit 7.000 - 8.000 Fremdarbeitern 1940 - 45 in Lüdenscheid. Hinzu kamen ca. 1.500 Kriegsgefangene.

Seit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft verlor der Stadtrat an Bedeutung (Verbot aller anderen Parteien im Juni 1933) und trat immer seltener zusammen. Die Macht lag in den Händen der Gauverwaltung in Bochum, der NSDAP mit ihren zahlreichen Zweigorganisationen und der Polizei.

Foto: Ein Haus an einer Strasse. Das Haus ist behängt mit Hakenkreuzfahnen. Auf der Strasse Menschen.
Schaltzentrale der nationalsizialistischen Politik war das Rathaus, in dem auch die Polizei ihr Büro hatte. Sie unterstand den Bürgermeistern.

 

Die zensierten Medien (Presse, Wochenschau, Radio) und die Nationalsozialisten feierten Deutschland als friedliebende Nation. Frieden definierten die Nationalsozialisten als Unterwerfung unter Deutschland. Hitler bereitete es mit dem Vierjahresplan auf einen Krieg vor, was manchen Menschen in Lüdenscheid bewusst wurde, weil Luftschutzkeller, Gasmasken, Geschosse und Waffenteile nicht für eine Zukunft im Frieden gebraucht wurden. Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 und dem Einmarsch deutscher Soldaten in das entmilitarisierte Rheinland verstieß Hitler gegen den Friedensvertrag von Versailles. 1938 putschte er erfolgreich mit Österreichs Faschisten gegen die dortige Regierung und feierte "Die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich". Sechs Monate später besetzte er zuerst Teile der Tschechoslowakei, wo Sudetendeutsche lebten, und dann ganz Böhmen und Mähren. Auf der Suche nach dem "Lebensraum im Osten" zogen am 1.9.1939 mit der Deutschen Wehrmacht auch Lüdenscheider Soldaten und Polizisten nach Polen und unterwarfen das Land in einem Monat. Es folgte 1940 die Eroberung und Besetzung Südost- und Westeuropas. Zum größten Triumphfest versammelten sich die Lüdenscheider am 23. Juli 1940, um in der reich mit Tannengrün geschmückten Stadt mit den "heimkehrenden Truppen" den Sieg über Frankreich zu feiern. Tausende säumten die Straßen, denn der Glanz siegreicher Waffen faszinierte damals und heute.
Wer nicht in die Kriegsfront passte, wurde gezwungen oder vernichtet. Kurz nach Kriegsbeginn gab Hitler die Vernichtung der Menschen mit Behinderungen in Auftrag. In Schulbüchern und Filmen wurde die Euthanasie empfohlen. Ihr fielen bis zum öffentlichen Protest des Bischofs von Galen aus Münster im Sommer 1941 ca. 70.000 Menschen in Deutschland zum Opfer. Nach einem kurzen Stopp kamen ca. 150.000 Menschen dazu, 56 aus Lüdenscheid. Die meisten wurden in der Landesklinik Hadamar (Westerwald) oder den Kliniken der Umgebung ermordet. Aus rassischen Gründen wurden Sinti und Roma in Lüdenscheid zwangsweise im Krankenhaus sterilisiert und vom Schättekopf deportiert.
Foto: Eine Großbaustelle. Im Vordergrund Schienen für eine Werksbahn.

1944 beim Bau des Versedammes:
Die Häftlinge warten auf die Zuteilung ihrer Hungermahlzeit. (linke Bildhäfte Mitte)

  

Wer sich als Arbeiter nicht in die "Heimatfront" einfügte, wurde ab 1940 in eins der 200 Arbeits- und Erziehungslager eingewiesen. Das erste in Deutschland wurde von Arbeitgebern, Polizei und Arbeitsfront in Hunswinkel, einem kleinen Ort im früheren Tal der Verse (heute: mitten auf dem Grund der Versetalsperre) für zunächst 200 und später 600 Häftlinge errichtet. Arbeiter, die Kritik übten oder den gestellten Kriegsarbeitsnormen nicht entsprachen, wurden dort eingewiesen, schwer misshandelt und nach 6 - 12 Wochen meistens als gebrochene Personen entlassen.
Über das Erlittene durften sie nicht sprechen.

Foto: Eine zweiteilige Bronzetafel. Linke Hälfte: Text: 'Im Tal der Verse befand sich unterhalb dieser Stelle zwischen 1940 und 1945 das Arbeitserziehungs- und Konzentrationslager Hunswinkel. Von vielen tausend Häftlingen aus der Sowjetunion, Deutschland, Polen, Belgien, Frankreich, Italien, Jugoslawien und den Niederlanden wurden mindestens 550 durch Hunger, Schwerstarbeit, Prügel und Erschiessen getötet. 52 Jahre nach der Herrschaft der Nationalsozialisten am 21. Juni 1997.' Rechte Hälfte: Eine Grafik. Schmale Figuren strecken sich der Sonne entgegen. Schriftzug darunter: 'Schatten der Vergangenheit'
Das Mahnmal Hunswinkel neben der Klamer Brücke am Versestausee wurde 1997 von Heinz Richter geschaffen. 1940 errichteten hier die Arbeitsfront, die Arbeitgeber und die Polizei das erste Arbeits- und Erziehungslager Deutschlands.

 

Um die Sowjetunion zu besiegen, wurden immer mehr Lüdenscheider eingezogen. Obwohl jedes Unternehmen darum bemüht war, die Militäraufträge bestens zu erfüllen, damit die Mitarbeiter an der Heimatfront arbeiten konnten und nicht an die Kriegsfront mussten, wurden immer mehr einberufen, am Ende des Krieges auch Sechzehnjährige als Flakhelfer. Die lokale Produktion von mehr als 500 Mio. Geschosshülsen wurde vom Rüstungskommando Lüdenscheid organisiert, das für die Region von Lippstadt bis Olpe zuständig war, wo ca. 6 Mrd. Geschosshülsen hergestellt wurden. Das Kommando forderte auch die Fremdarbeiter an, die zu einem kleinen Teil freiwillig kamen und zu 90 % nach Deutschland deportiert wurden. Sieben- bis achttausend Zwangsarbeiter kamen nach Lüdenscheid, die meisten als minderjährige Schulabgänger. Der größte Teil war in ca. 30 Barackenlagern oder Sport-/Fest-Hallen untergebracht. Die osteuropäischen Arbeiterinnen und Arbeiter mussten 10 - 12 Stunden arbeiten, erhielten wegen ihrer "rassischen Minderwertigkeit" viel weniger und schlechteres Essen als Deutsche und verbrachten die Nächte und Sonntage in Lagern, die mit Stacheldraht und Werkschutz gesichert waren. Ca. 170 starben an den schweren Lebensbedingungen in den Fabrikbaracken. Trotz der Rassengesetzgebung gab es zwischen den Fabriklagern große Unterschiede, sodass in ungefähr einem Drittel die Lebensbedingungen halbwegs menschlich waren, in einem weiteren noch erträglich und im letzten lebensgefährlich.
Übte ein Zwangsarbeiter Kritik, so kam er ins Arbeitsund Erziehungslager Hunswinkel. Dort misshandelten die Mitglieder des Dortmunder Polizeibataillons 61 und Lüdenscheider Sicherheitskräfte die Häftlinge so, dass ca. 550 von ca. 5 000 Inhaftierten ihr Leben verloren, die meisten aus Russland, Deutschland und Polen.



Foto: Eine Tafel. Text:'Hier versammelten sich in den Jahren 1901 bis 1936 die hundert jüdischen Bürger Lüdenscheids zum Gebet. Während der Menschenverachtenden Herrschaft der Nationalsozialisten 1933-1945 wurden sie verfolgt, gequält, enteignet, vertreiben und ermordet. Ihr Leid verpflichtet uns, für Würde und Freiheit aller Menschen einzutreten. Gewidmet von der Stadt Lüdenscheid im Jahre 1990'
Die 114 jüdischen Bürger versammelten sich bis 1936 an der Stelle, wo heute die Bücherei steht und die Gedenktafel seit 1990 hängt. Von ihnen starben 36 um Holocaust. Die anderen konnten, meistens durch Flucht, überleben.

 

1941 wurde die Sowjetunion von Deutschland angegriffen. Mit den Schlagworten des "Weltanschauungskrieges" und des Kampfes gegen "Untermenschen" wurden die Menschenwürde der Gegner und das internationale Kriegsrecht zerstört. Millionen von Zivilisten wurden in Polen, in Weißrussland, in der Ukraine, in Russland, in Jugoslawien und anderen Staaten ermordet, meistens mit der Begründung Partisanen zu sein. Oft in Zusammenarbeit mit heimischen Polizisten und Antisemiten wurden die jüdischen Bürger von Deutschen zusammengetrieben und am Rand der Städte erschossen, so auch in der heutigen Partnerstadt Lüdenscheids Taganrog, wo 1 800 ermordet wurden. Das war vor allem die Aufgabe der mehr als hundert Polizeibataillone, zu denen auch die 56 Lüdenscheider Polizisten gehörten, die von hier abkommandiert waren. Schon vor der Wannseekonferenz am 20.1.1942 waren einige Deportationszüge aus Deutschland z. B. nach Riga gefahren, wo mehrere zehntausend Juden erschossen wurden. Auf der Konferenz wurde die Vernichtung der 6 Millionen europäischen Juden beschlossen, angeblich durch den "Arbeitseinsatz im Osten", wahrheitsgemäß durch Misshandlungen, Hunger und die "industrielle" Ermordung mit Gas. So wurden auch aus Lüdenscheid und Umgebung am 27. April die jüdischen Bürger in den Zellen der Polizei und des Gerichtgefängnisses verhaftet, dann auf Lastwagen heimischer Unternehmer in die Sport- und Sammelhallen der Eintracht nach Dortmund gebracht und am 30. April mit einem Personenzug 3. Klasse zusammen mit tausend anderen Juden des Regierungsbezirks Arnsberg nach Zamosc transportiert, wo sie durch Schwerstarbeit, Hunger oder Gas in Belsec/ Polen von Deutschen ermordet wurden. Diese "Fahrten" mussten die Deportierten selbst bezahlen, 4 Pf. je km an die Reichsbahn. Insgesamt wurden mindestens 36 der 114 Lüdenscheider Juden ermordet, die Hälfte im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die anderen konnten flüchten oder, weil sie mit Christen verheiratet waren, z. B. im Konzentrationslager Theresienstadt überleben. Der jüdische Lüdenscheider Walter Süskind war nach Amsterdam ausgewandert, um zu überleben. Als Deutsche auch diese Stadt eroberten, musste er für sie alle Juden deportieren. Während er viele zehntausend in den Tod schicken musste, konnte er mit humanen Niederländern die Rettung von ca. tausend jüdischen Kindern organisieren, die insgeheim in Pflege genommen wurden. Walter Süskind kam mit Frau und Tochter in Auschwitz ums Leben.

Foto: Karl Klauke.
Karl Klauke zählte zu den taperen Anwälten der Menschlichkeit. Er half Juden und hörte "Feindsender". Deshalb kam der Siebzigjährige fast 2 Jahre in Polizei-, Gerichts- und Zuchthaft.

 

Als die Deutsche Wehrmacht im Januar 1943 die Schlacht um Stalingrad verlor, wendete sich das Kriegsglück. Am Ende des Krieges waren ca. 2.700 Soldaten aus der Stadt und dem Amt Lüdenscheid gefallen - aus Deutschland 3,7 Mio. Wie viele ausländische Zivilisten, Soldaten und Juden von den gefallenen und überlebenden ca. 9 000 Lüdenscheider Soldaten getötet wurden, weiß keiner. Viele Deutsche haben bis zu ihrem Tod darüber geschwiegen.

Das lag auch an dem selbst erlebten Leid. Zwei schwere Luftangriffe trafen die Region Lüdenscheid. Am 16.2.1945 starben in Brügge 24 Menschen und am 28.3.1945 bei der Beschießung der Kleinbahn Schnurre nahe Mühlenrahmede mindestens 38 Menschen durch Flugzeugangriffe.

Foto: Eine liegende, übergroße, nackte männliche Figur mit einem Lorbeerkranz auf einem Sockel. Vor dem Sockel Ehrenkränze. Rechts und links daneben Soldaten als Ehrenwache.
"Der erwachende Jüngling": Ehrenwache

 

Vier Exekutionen in den letzten vier Tagen der nationalsozialistischen Herrschaft in Lüdenscheid zeigen deren tödliche Ideologie. Im Verlauf des Krieges richtete sich die Gewalt der Nationalsozialisten immer mehr gegen die eigene Bevölkerung. So wurden am 9. April 1945 in der Kaserne Buckesfeld drei junge Soldaten wegen angeblicher Fahnenflucht erschossen, anschließend zum Adolf-Hitler-Platz transportiert und als Demonstration der Stärke nationalsozialistischer Herrschaft ausgestellt. Am Tag der Befreiung, dem 13. April, hatte der Nazigegner und Kommunist Hermann Massalsky in seinem Frisörgeschäft über das nahe Ende Hitlers gesprochen. Das veranlasste einen Feldwebel, einen zweiten Uniformträger zu suchen, in das Frisörlokal am Bräuckenkreuz zurückzukehren, den Meister zu verhaften und zum Heeresverpflegungslager Wefelshohl zu bringen, wo der Kritiker am Waldrand erschossen wurde. Vier Stunden später wurde Lüdenscheid von den amerikanischen Soldaten besetzt und befreit.
Die Soldaten- und Zwangsarbeitergräber auf den Friedhöfen und die Gedenkstätten für die Opfer des Arbeits- und Erziehungslagers Hunswinkel auf Hühnersiepen und dem Waldfriedhof Loh weisen auf die blutigen Folgen von Krieg, Diktatur, Größen- und Rassenwahn hin und auf ein widersprüchliches Verständnis zwischen der Trauer über den Untergang des Großmachtsstrebens einerseits und der Erleichterung über die Befreiung von der mörderischen Helden- und Herrenideologie andererseits. Umstritten ist die 1935 von Nationalsozialisten errichtete Großplastik (6 m Körpergröße) "Erwachender Jüngling", die nicht die Trauer über den Tod der Gefallenen, sondern die erwachende Kraft des aufstehenden Kämpfers mit geballter Faust als offizielles Denkmal für die Kriegstoten darstellt. Dazu schrieb der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll, der einige Tage in Lüdenscheid als Soldat stationiert war:

"Bis heute haben wohl die meisten Deutschen nicht begriffen, dass sie als Sieger unmenschlich waren, als Besiegte menschlich wurden."
   
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Lüdenscheider Zeitbilder
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Lüdenscheider Zeitbilder, Lindenau 16, 58511 Lüdenscheid
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