Link: Zum Untermenue bzw. Text dieser Seite
Lüdenscheider Zeitbilder
 

1609:   Reformation, Erbe, Brandenburg-Preußens
           und der Dreißjährige Krieg

Foto: Die Zeichnung zeigt eine Stadtansicht von Lüdenscheid.

Die Stadtansicht von 1850 wurde vom Standpunkt des heutigen Bahnhofs ausgezeichnet.

Bürgermeister: Dr. jur. Friedrich Wilhelm von den Bercken, Johann Peter Theodor Kerksig

Foto: Zeichnung: Ein Haus, davor eine Mauer. Hinter der Mauer ein Friedhof.
An der Stelle des heutigen Alten Rathauses stand bis ca. 1872 das Anwesen der Hochgrafen und Richter Hymmen.

 

Als 1794 die Stadt und das Fürstbistum Köln von Französischen Revolutionstruppen besetzt wurden, flohen Kölner Priester, Soldaten und Bürger mit dem wertvollen Dreikönigsschrein und anderen Religions artikeln nach Arnsberg, der wichtigsten Stadt im ka tholischen Hochsauerland. Zahlreiche Adlige aus Nord-Frankreich und dem westlichen Rheinland flüchteten auf der alten Heerstraße (vgl. Straßenname in Halver-Oberbrügge) nach Lüdenscheid. Der hiesige Postmeister Heinrich Schniewindt schrieb am 7.10.1794 in sein Tagebuch:
"Alles, alles ist hier und überall in der größten Verwirrung, französische und brabantische Flüchtlinge, die sich bisher in Köln, Mülheim, Düsseldorf aufgehalten haben, kommen scha renweise an; jeder hat sein Bündelchen aufm Rücken, fünf und fünf beisammen. Gott welch ein Anblick!
Wenn man sieht, wie einige so alte, ehrwürdige Männer, mit Tränen in den Augen, so müde und matt herumirren, unbekannt mit unserer Gegend und der Sprache."
31.12.1794:
"Viele französische Prinzen und Prinzessinnen, Grafen und Gräfinnen, welche in unserer Gegend sind, müssen sich aus Not zu den niedrigsten Arbeiten bequemen."
1806 besetzten französischen Truppen Lüdenscheid. Noch bevor die französische Verwaltung - Mairie - eingerichtet wurde, musste allein das Kirchspiel ohne die Stadt Lüdenscheid 35.016 Franken Kriegssteuer an die Besatzungsmacht zahlen. In diese Kriegszeit gehört auch der Bericht von Johann Georg Friedrich Röther: Sieben kriegsmüde Deserteure der österreichischen Truppen, die schon lange am Rhein ihren Dienst gegen Frankreich geleistet hatten, baten im Buckesfelder Hof um Nachtquartier. Als sie eingeschlafen waren, kam die Patrouille des Regiments, die den Wirt überlistete und die Schlafenden "exekutierte". Nur einer konnte sich unter dem Tisch verstecken und überleben.

Foto: Ein altes Haus mit Treppenaufgang. Über der Haustür ein Balkon. Dort und vor dem Haus sind Personen zu erkennen.
Die Adlerapotheke ist die älteste Apotheke der Stadt und steht noch am Ursprungsort. Foto: ca. 1900

 

Die steigende Einwohnerzahl erforderte die Neuorganisation des Armenwesens, über das Pastor Hülsmann eine "Kurze Beschreibung der schon seit 1789 in der Stadt Lüdenscheid bestehenden neuen Einrichtung des Armenwesens zur besseren Versorgung der wirklich Nothleidenden und Abschaffung des Straßenbettels" anfertigte. Danach kamen durch monatliche Hauskollekten, Hochzeits- und Taufspenden ca. 200 Rtlr. jährlich für die Sozialleistungen zusammen. Gezahlt wurde oft an Invaliden und Witwen, besonders für die Miete, die Kleidung, Arztkosten und Bestattungskosten. Zum Schluss schrieb er über die Töchter bedürftiger Mitbürger in der Industrieschule:
"Jetzt schon werden in derselben 8 Mädchen umsonst im Lesen, Schreiben, Stricken, Nähen und Flicken unterrichtet. Die, welche sich schon hinlängliche Fertigkeiten darin erworben haben, arbeiten für andere und verdienen Geld für ihre Eltern ... Für die Knaben bedarf es hier keiner Industrieschule wegen unserer Fabriken, in denen die Knaben schon früh arbeiten, und dann doch noch die Arbeitsschule besuchen können."
Mit der Frühindustrialisierung entwickelten Staat und Unternehmer Industrieschulen, in denen Kinder für die Produktion arbeiten mussten und meistens am Abend oder Samstag grundlegende Schulkenntnisse erhielten. Kinderarbeit in den Fabriken wurde damals für wichtiger gehalten als Schulunterricht am Vormittag. Der Streit darum sollte ein Jahrhundert andauern.

1788 sah die Beschäftigungsstruktur in der Stadt so aus:

                  Drahtfabriken:  35 Werke
                                  58 Arbeiter    
                                  21 Reidemeister
Schnallen und Haken (seit 1740): 175 Arbeiter
     Strumpffabriken (ca. 1734):   8 Stühle         
                                  32 Arbeiter         

Foto: Das Foto zeigt Menschen bei der Heuernte: Ein Pferdewagen wird mit Heu beladen.
Viele Lüdenscheider arbeiteten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts sowohl in der Landwirtschaft - hier im Versetal um 1920 - als auch in der Industrie.

 

Während der europäische Osemund- und Drahthandel durch das Handelsverbot mit England ins Stocken geriet, konnte die 1805 gegründete Funcksche Spinnerei viele Garne verkaufen. Aber sie existierte im Haus Dicke (Standort des heutigen Rathauses) nur bis 1827 und wurde nach Hagen verlegt, wo die Maschinen nicht mehr von Tieren (Göpel), sondern von Wasserkraft angetrieben wurden.

1809 bis 1813 bestand unter Aufsicht der französischen Herrschaft ein Bürgermeisteramt, zu dessen Bürgermeister der liberale Jurist Peter Kerksig ernannt wurde, der zusätzlich für den Kanton Meinerzhagen, Kierspe, Halver und das Kirchspiel Lüdenscheid zutändig war. Er arbeitete einerseits für die Gewerbefreiheit und die Gleichheit der Bürger, war aber auch für die hohen Steuerabgaben an die Franzosen und für die umfangreichen Straßenbauarbeiten verantwortlich. Zu den vielen Neuerungen gehörte die Entmachtung der Kirche. Nicht mehr sie, sondern das Rathaus beurkundete nun Geburt, Hochzeit und Tod. Auch der Code Napoleon, der das Zivilrecht in Deutschland stark beeinflusste, wurde im damals französischen Großherzogtum Berg gültig, zu dem Lüdenscheid gehörte. 102 Freiwillige hatten sich nach dem Abzug der französischen Truppen aus Lüdenscheid 1813 bei den Preußen für den Befreiungskampf gegen Napoleon gemeldet. 13 starben in den Schlachten gegen die Franzosen. Ihnen zum Gedenken fand im Juli 1816 ein Gottesdienst statt, in dem eine Ehrentafel für sie enthüllt wurde.

In der Zeit der französischen Herrschaft gab es 1808 die erste überlieferte Theateraufführung. Gespielt wurde "Kind der Liebe" des damals bekanntesten deutschen Schauspielschreibers August von Kotzebue.

Link: Zurueck zum Hauptmenue

1814:   Hungersnöte, Knopffabriken,
           Trennung von Stadt und Amt

Bürgermeister: Johann Jakob Ferdinand Kobbe, Reinhard Riegelmann, Ernst Wilhelm Jander

Foto: Ein Karton mit verschiedenen Knöpfen.

Das Blatt mit Knöpfen, die entsprechend der Mode verändert wurden, spiegelt
die wichtigste industrielle Arbeit in Lüdenscheid.

Die Jahre 1816/17 wurden durch Dauerregen und lang anhaltende Schneefälle zu Hungerjahren. Deshalb richtete der Evangelische Frauenverein, der 1814 zur Unterstützung der Kriegsverletzten und ihrer Angehörigen gegründet worden war, unter der Leitung von Frau Kerksig 1817 eine Suppenküche ein, in der Verarmte täglich kostenlos eine Mahlzeit erhielten. Zu der Naturkatastrophe kam eine schwache Wirtschaftsphase. Aber im Vergleich zu anderen Regionen mit noch mehr Nöten konnte Lüdenscheid in den 20er Jahren seine wirtschaftlichen Erfolge erbessern. Das zeigt der Anstieg der Bevölkerung ab dem Jahr 1816 von 1 895 auf 4 099 Stadtbewohner im Jahre 1846. Die Arbeitswelt spiegelt sich in der Übersicht aus dem Jahre 1804. Die Stadt Lüdenscheid zählte damals 1495 Einwohner. Es gab 390 Haushaltsvorstände; davon arbeiteten in der Eisen- und Metallverarbeitung 146, in der Land- und Forstwirtschaft mit Tagelöhnern 44, im Bekleidungsgewerbe 26, im öffentlichen Dienst (Kirche, Schule, Verwaltung, Post u. a.) 23, im Handel 21, im Nahrungsgewerbe 16, in der Textilherstellung 8, im Baugewerbe 8, im Holzgewerbe 6, im Transportwesen 5, im Gastgewerbe 5, im Leder- und Papiergewerbe 4, im Gesundheitswesen 3, im Reinigungswesen 2, im Maschinenbau 1, im künstlerischen Gewerbe 1, in anderen Branchen 6, ohne Berufsangaben 65. (StA Lüd A 424)

Nach dem Niedergang der Drahtrollenproduktion im Kirchspiel durch die Konkurrenz des neuen Puddelverfahrens und der neuen Walzwerke entwickelten 17 Unternehmen mit der Herstellung von Schnallen und Knöpfen die zukunftsweisende Produktion für die Region. Die neuen Produkte waren für die Entwicklung der Industriestadt bis in die Zeit der beiden Weltkriege entscheidend. Die Pioniere waren Joh. P. Linden seit 1779, Wilhelm Berg seit 1787, Sandhövel & Co. seit ca. 1790, P. C. Turck seit 1791, C. Gerhardi & Co. seit 1792, Gebr. Dicke seit 1795, Leopold Aßmann seit 1796, Leonhard Ritzel seit 1797 und Woeste seit ca. 1800. Zu dieser Zeit arbeiteten bei ihnen 180 Arbeiter, aber nur noch 54 für die Drahtherstellung der Reidemeister. Zunächst wurden Massivknöpfe produziert. Das änderte sich in den 20 Jahren bis 1843. Nun wurden die Hohlknöpfe aus einem Unterteil und dem ünstlerisch gestalteten Oberteil hergestellt. Die dafür benötigten Bleche wurden in den Walzwerken der umliegenden Täler hergestellt, z. B. an der Rahmede in der Dicken-Walze für die Firma Dicke, die da stand, wo sich heute das Rathaus befindet, und in der Turcks-Walze für die Firma P. C. Turck. 28 neue Fabriken kamen nach der Franzosenzeit hinzu, die Hälfte von ihnen allein 1828. Die 20er Jahre des 19. Jh.s waren die erfolgreichsten vor 1875.

Foto: Das Foto zeigt eine Kirche. Davon eine Freitreppe die zum Eingang führt. Im Vordergrund Bäume.
1823 - 1825 errichteten die evangelischen Christen die heutige Erlöserkirche auf dem Grundstück der kleinen mittelalterlichen Kirche, deren Turm erhalten blieb.

 

Seit der Reformation gab es die Stadt- und die Landgemeinde. Der zweiten gehörte die Stadtkirche und reiches Eigentum außerhalb der Stadtmauern. Der Kirchspielpastor war der Hauptpastor und hielt den Hauptgottesdienst. Der Stadtprediger erhielt ein kleineres Einkommen und verfügte über weniger Rechte. Die lutherische Stadtgemeinde kam in der Kreuzkapelle, die damals außerhalb der Stadt auf dem heutigen Sternplatz stand, zusammen, die lutherische Landgemeinde in der Stadtkirche. Ab 1705 war die Zahl der reformierten Protestanten so groß, dass sie die Kreuzkapelle als Gotteshaus nutzten. Unter dem Druck der Regierung vereinigten sich 1822 beide, um die baufällig gewordene mittelalterliche Kirche im Stadtzentrum durch einen Neubau zu ersetzen. Die Union errichtete nach langen Diskussionen mit den Behörden in Arnsberg und Berlin 1823 - 1825 die heutige Erlöserkirche im klassizistischen Stil. Sie bot im Kirchenschiff und auf den umlaufenden Emporen biszu 1 400 Menschen Platz für die ca. 4 500 Personen des ganzen Kirchspiels. Die gemeinsame Errichtung der Stadtkirche konnte die Vielfalt der evangelischen Konfessionen nicht auf Dauer zusammenhalten. Innerhalb der Amtskirche stand eine liberale reformierte Minderheit der pietistischen Mehrheit gegenüber, die eine verinnerlichte strenge Selbstdisziplin von jedem Christen forderte. Dazu gehörte auch die Aufforderung zu Fleiß und Pflichterfüllung.
Manche Lüdenscheider suchten in den Freikirchen ohne Amtskirche und ohne amtlichen Pfarrer ihren Glauben. Die "Christliche Gemeinschaft" gründete sich offiziell 1865, nannte sich 1882 "Freie evangelische Gemeinde" und errichtete 1906 das Gemeindehaus in der Börsenstraße. 1872 wurde die christliche Versammlung in der Eduardstraße und 1899 die Friedenskirche der Baptisten in der Feldstraße gegründet.

Nach dem Hambacher Fest 1832 regten sich auch in Lüdenscheid freiheitliche und bürgerliche Aktivitäten. 1835 wurde die Gesellschaft "Concordia" gegründet. Der (Honoratioren-)Verein bestand aus 22 Fabrikanten und Kaufleuten, die bei ihren Treffen Wissen, Informationen und Meinungen austauschten. 1869 wurde das Vereinshaus an der Concordiastraße errichtet, wo heute das Kulturhaus steht. 1841 folgte die Gründung der Gesellschaft "Erholung", in der die Mittelschicht gleichen Zielen nachging und sich ab 1887 in einem Gebäude traf, das auf dem Grundstück des heutigen Sparkassennebengebäudes stand. 1843 wurde die Schützengesellschaft als Verein für Sport, Schießübungen und Geselligkeit gegründet, um den Gemeinschaftsgeist zu fördern und der verbreiteten Trunksucht entgegenzuwirken. Nach dem Scheitern der demokratischen Aufstände und der Paulskirchenversammlung 1849 orientierte sich der Schützenverein am konservativen Nationalgedanken und fand immer breiteren Zuspruch.

Entsprechend der neuen preußischen Städteordnung fand am 11. September 1842 nach dem Gottesdienst unter der Leitung des Landesdirektors/ Landrats die Wahl des ersten Stadtrats im 19. Jahrhundert statt. Durch ihn wurde die Macht des Magistrats eingeschränkt. Das abgestufte Wahlrecht räumte den reichen Steuerzahlern mehr politische Macht als den armen ein. Wegen ihres geringen Steueraufkommens und des Dreiklassenwahlrechts waren nur 10 % der Stadtverordneten Arbeiter, obwohl sie von mehr als der Hälfte aller wahlfähigen Männer gewählt waren. Frauen durften noch nicht zur Wahl gehen.

Offiziell trennten sich Stadt und Amt Lüdenscheid am 15. April 1843. Das Amt umfasste die Gebiete rings um die Stadt mit den Rittergütern Neuenhof und Oedenthal und der Gemeinde Hülscheid, also nach den heutigen Ortsbezeichnungen die Gebiete von Brügge über Neuenhof, Hellersen, Rahmede, Dickenberg und Heedfeld. Bürgermeister Ernst Wilhelm Jander, der Lüdenscheid Stadt und Land nach der alten französischen Mairie-Verfassung mit vielen Befugnissen von 1820 bis 1843 verwaltet hatte, entschied sich als Amtmann für Lüdenscheid-Land. Jander hatte sich besonders für die Verbesserung der Fernwege und die Pflasterung der Haupt-/ Wilhelmstraße 1826 eingesetzt, um die wirtschaftliche Entwicklung und den Handel in der Stadt zu fördern.

Link: Zurueck zum Hauptmenue

1843:   Politische Vereine, Zeitungen und frühe Infrastruktur

Bürgermeister: Wilhelm Plöger, Heinrich Nottebohm, Wilhelm Wiesmann

Foto: Die erste Lüdenscheider Lokalzeitung: Text: Märkischer Bote - Lüdenscheid, Sonnabend den 8. April 1848 - An die geehrten Abonennten dieses Blattes. Bei der herausgabe der ersten Nummer dieses Märkischen Boten richten wir einige Wortte an die verehrten Leser, indem wir sie auch zugleich mit dem Inhalte und Zwecke desselben bekannt machen. ...

Die erste Lüdenscheider Lokalzeitung.

In diesem Zeitabschnitt verdoppelte sich die Zahl der Städter. 1846 lebten 4.099 Lüdenscheider in der Stadt und 4.360 im Amt. 1850 zählte die Stadt mehr Einwohner als das Amt. 1870 lebten in der Stadt 7.448 Einwohner. Aber das Amt zahlte noch viele Jahre mehr Steuern als die Stadt und bewies die wirtschaftliche Stärke der 25 Reck- und Breitehämmer, 26 Osemundhämmer, der 5 Drahtrollen, der zwei Draht- und 5 Blechwalzen, die zusammen 175 Arbeiter im Jahr 1845 beschäftigten.
In diesem Jahr befiel die Brandfäule die Kartoffeln in Europa und trieb die Preise für Brot und Kartoffeln so hoch, dass viele Hunger litten. Wie schon im Jahr 1817 wurde in Lüdenscheid vom Evangelischen Frauenverein eine Suppenküche eingerichtet, um arme Lüdenscheider vor Hungerkrankheiten und dem Hungertod zu bewahren. Schon lange drängte der Staat auf die Einrichtung einer Sparkasse, um den unteren Schichten bei der Vermögensbildung zu helfen. Deshalb wurde in ihrer Frühzeit 1845 - 1858 für kleine Guthaben ein höherer Zins gezahlt als für große. Dann wur de die soziale Begünstigung aufgehoben und allgemein mit dreieinhalb Prozent verzinst. Franz Heinrich Schumacher war der Sparkassenverwalter, der alle Arbeiten allein ausführte. Ihm wurde vorgeworfen, zu wenig für die Sparkasse zu leisten, weswegen er von Wilhelm Josephson abgelöst wurde, der ihr zum wirtschaftlichen Aufschwung verhalf. Der erste Sparkassenverwalter war auch der erste bekannte lokale Geschichtsschreiber, der 1847 die "Chronik der Stadt- und Landgemeinde Lüdenscheid" veröffentlichte. In die Zeit der Trennung von Stadt und Land kam 1844 die Anordnung der Gründung einer "Feuerlösch- und Rettungs-Compagnie", der alle Männer im Alter von 18 bis 55 Jahren beitreten mussten.

Als die Revolution in Paris mehrere tausend und die Märzrevolution in Berlin 230 Tote forderten, blieb es in Lüdenscheid ruhig. Allerdings erschien am 8. April 1848 zum ersten Mal der Märkische Bote", nachdem die Nachricht der Pressefreiheit vom 18. März 1848 aus Berlin nach Lüdenscheid gekommen war und hier gefeiert wurde. In dieser Wochenzeitung spiegelten sich viele unterschiedliche Meinungen. Als die Zeitung später Sprachrohr der konservativen Obrigkeit wurde, fand sie kaum noch Käufer und wurde 1853 eingestellt.

Im August 1848 gründeten fortschrittlich-liberale Bürger, meistens Kaufleute, den "Bürgerverein", der die parlamentarische Staatsform anstrebte. Zu ihnen zählten der Lehrer Johann Samuel Grün und sein Sohn Karl, der als Redakteur vieler Zeitungen für liberale und soziale Reformen warb und deshalb oft vor der Inhaftierung aus politischen Gründen flüchten musste. In einer Volksversammlung nahe bei Trier kritisierte er die hohen Steuern, die die Weinbauern für den Luxus von Preußen zu zahlen hatten, dessen Eliteeinheit vergoldete Uniformknöpfe aus Lüdenscheid trug. Die zweite lokale Vereinigung war der Konstitutionelle Verein.

Die dritte lokale Vereinigung bildeten die Arbeiter mit dem "Industriellen Arbeiter-Verein", der sich auf soziale Fragen konzentrierte, aber nur kurze Zeit existierte.

Einige Funken der bürgerlich-demokratischen Revolution glühten weiter. Im Dezember 1849 gründeten Unternehmer die Lüdenscheider Handelskammer, um den Austausch der Informationen und Absprachen in der Region zu verbessern. 1854 erschien das "Lüdenscheider Wochenblatt" zum ersten Mal "für das gebildete industrielle Bürgertum und den freien behäbigen Bauernstand". 1870 folgte die ebenfalls liberale "Lüdenscheider Zeitung", 1887 die linkskritische "Reform", die sich später "Lüdenscheider Tageblatt" nannte und ab 1906 die sozialdemokratische "Volksstimme". In der Mitte des Jahrhunderts schwankte die Wirtschaft stark und viele litten Not. Ein Industriearbeiter verdiente im Jahr 1852 durchschnittlich 2 Taler 15 Silbergroschen je Woche. Damit erhielt er mehr als ein Handwerksgeselle, aber kaum so viel, dass er seine vierköpfige Familie ernähren konnte. Oft reagierten Arbeiter mit der Flucht in den Alkohol auf die Not, die dadurch vergrößert wurde. 1860 kam auf je 162 Einwohner eine Gastwirtschaft. Eine andere Reaktion auf die Not war die Zunahme der eigenen Viehhaltung. 1867 gab es 7 324 Städter, 250 Rinder, 603 Schafe und 634 Ziegen in Lüdenscheid. Eine weitere Antwort war die Zunahme der Kinder- und Frauenarbeit, die der heimischen Industrie entgegenkam, weil sie für einfache Montagetätigkeiten nicht viel bezahlen konnte. Sie ermöglichten kleine Ersparnisse, wenn nicht Krankheit oder Unglück dazwischenkamen. Der Geschichtsforscher Günther Deitenbeck stellte fest:
"Wegen des starken in- und ausländischen Konkurrenzdruckes nutzten die Fabrikanten gern die billigere Arbeitskraft der Kinder, die im Durchschnitt nur 1/5 des Lohnes der Erwachsenen bekamen. Bis 1853, als die Kinderarbeit unter 12 Jahren verboten und die Arbeitszeit der 12 - 14-jährigen auf sechs Stunden täglich herabgesetzt wurde, waren fast 50 Prozent der in der Lüdenscheider Knopfindustrie Beschäftigen Kinder, wobei der Anteil der Mädchen, besonders nach 1853, zunahm, da mit der Heraufsetzung des Mindestalters nicht mehr genug Jungen zur Verfügung standen."

Foto: Eine Häuserreihe in der heutigen Knapper Str.
Die Aktienhäuser an der heutigen Knapperstr. wurden ab 1853 errichtet.

 

Zur günstigen Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln wurde 1863 der Lüdenscheider Konsumverein gegründet, der Lebensmittel in zureichender Menge auswärts einkaufte und am Ort günstig verkaufte.
Die wachsenden sozialen Probleme der Industrialisierung konnte das kirchliche Armenwesen nicht mehr schultern. Deshalb gründeten Unternehmer und Arbeiter 1843 den "Unterstützungsverein für Krankheits- und Invaliditäts- und Sterbefälle". Alle Arbeiter (keine Frauen) der Stadt zwischen 16 und 35 Jahren waren zum Beitritt verpflichtet. Arbeitgeber durften keinen Arbeiter einstellen, ohne ihn der Kasse zu melden. Wer aus der Fabrikarbeit ausschied, konnte freiwilliges Mitglied bleiben. 1845 hatte der Verein 700 Mitglieder und 1879 1 330. Damit erreichte er ca. 70 % aller Lüdenscheider Familien.

Foto: Zwei alte Häser, dazwischen eine Durchfahrt.
Blick auf den Birkschen Hof (links) an der Ecke Staberger Str. (1869 - 1899 Krankenhaus) und auf die Hochstrasse vor dem heutigen Geschwister-Scholl-Gymnasium um 1920.

 

Um die Wohnungsnot zu beheben, wurden in der Zeit 200 neue Wohngebäude errichtet, deren Anzahl von 358 (1847) auf 543 (1871) stieg. Aber das reichte nicht, um die Einwohnerzahl, die sich verdoppelt hatte, aufzunehmen. Deshalb wurde 1853 die "Lüdenscheider Baugesellschaft" als Aktiengesellschaft gegründet, die 1853 - 57 an der "Landstraße nach dem Grünewalde", der heutigen Knapper Straße, mehrere "Aktienhäuser" errichtete, deren Fassaden noch heute stehen.
Mit der Spende von Grundstücken und 4 481 Talern legte Frau Kerksig in einem Vertrag mit dem Bürgermeister Nottebohm 1858 die Grundlage für den Bau eines Krankenhauses. Es sollte Kranke und Hinfällige versorgen, denen zu Hause keiner half. Zuerst fand das Krankenhaus in der alten Rektoratsschule neben der Erlöserkirche seine Unterkunft und ab 1859 in der Luisenstr. 21. Die Straße wurde nach der Spenderin und ihrem "Louisenstift" benannt. Da die 15 Krankenbetten nicht reichten, kaufte die Stadt den Birkschen Gasthof an der Ecke Staberger- und Hochstraße. Hier war ab 1869 Platz für 30 Betten. Die wurden besonders während der Pockenepidemie 1871 benötigt, an der 20 Lüdenscheider starben.

In den vier Volksschul- und zwei Fabrikschulklassen wurden jeweils mehr als 100 Schüler unterrichtet, zeitweise 161. Wegen der Kosten verzögerte der Schulvorstand die Anstellung weiterer Lehrer. 1856 wurden auf Beschluss der Stadt die Nordschule an der Schulstraße (heute: Corneliusstraße) und die Südschule an der Concordiastraße (heute: Freiherr-vom-Stein-Str.) mit je 3 Klassenräumen eröffnet. In die Nordschule zog neben der Volksschule auch die höhere Bürgerschule und in die Südschule zusätzlich die Mädchenbürgerschule ein. Als 1872 für insgesamt 1 306 Schüler zwölf Volkschul- und drei Fabrikschulklassen eingerichtet wurden, musste 1874 die höhere Bürgerschule/ Rektoratschule in den Neubau des Rathauses an der Wilhelmstraße umziehen. Die höhere Mädchenschule zog 1881 in einen Schulneubau an der Schulstraße. 1857 wurde die erste Lehrerin in Lüdenscheid angestellt.
Für die katholischen Zuwanderer wurde im neuen katholischen Pfarrhaus 1845 eine Schulstube eingerichtet. Im Dachgeschoss befanden sich zwei Zimmer für den Lehrer, der anfangs ein kümmerliches Gehalt von 71 Talern jährlich erhielt und damit weitaus weniger Arbeitspflichten und Saisonarbeiten führten dazu, dass viele Kinder nicht zur Schule gingen und nur wenig Bildung erhielten.

Seit 1844 förderte der preußische Staat zur Verbesserung der Produktionsqualität auf freiwilliger Basis gewerbliche Fortbildungsschulen im Anschluss an die Volksschule. 1850 gründete der Fabrikant und Ratsherr August Adamy eine solche "Nachhilfeschule", die nach der Gewerbeordnung von 1849 eingerichtet und besucht werden musste, wenn Lehrlinge nicht genug Wissen besaßen. Schon 1853 zählte die Schule 105 Schüler in vier Klassen, die das Fachwissen für die heimische Industrie und die Handwerke vermittelten. In dem Jahr gab es bereits 3 Gesangvereine und 855 wurde der bekannteste, der Männergesangverein, gegründet. 1856/57 entstand auch die Volksbibliothek der Stadt Lüdenscheid. Deren Gründervater warder Pastor und spätere erste Schulinspektor Friedrich Wilhelm Rottmann, der nach dem Beispiel von Breslau und Berlin hier die dritte Volksbücherei Preußens als Bürgerinitiative mit 300 Büchern eröffnete.
Die Industrialisierung des Lebens veränderte Lüdenscheid immer stärker. Seit 1826 gab es 16 Öllaternen in der Stadt, die Unfälle vermeiden und die Sicherheit verbessern sollten. Weil die Energieversorgung nicht reichte, schloss die Stadt mit dem Ingenieur W. Ritter aus Duisburg einen Vertrag über den Bau eines Gaswerks an der heutigen Gasstraße. Es versorgte ab 1858 die Gaslaternen der Stadt, Firmen und Haushalte mit der neuen Energie. Nach französischem Vorbild mussten bis 1869 alle Straßen auf Anordnung der Regierung benannt und die Häuser mit Nummern versehen werden. Die Hauptstraße erhielt den Namen Wilhelmstraße nach dem preußischen König und späteren Kaiser Wilhelm I.
Ein kultureller Höhepunkt der Zeit war die Feier zum 100. Geburtstag des Dichters Friedrich Schiller 1859 im Saal der "Concordia". Die "Liebe zum Vaterland" und zu den "höchsten Gütern, Wahrheit, Recht und Freiheit" standen im Mittelpunkt der Reden, Textvorträge und Gesangsbeiträge. Der Nationalgedanke führte auch 1860 zur Gründung des Nationalvereins in der Gastwirtschaft Knobel an der Wilhelmstraße. Während der liberal und sozialdemokratisch eingestellte Lüdenscheider Karl Grün in Schiller den "Weltbürger" und werdenden "Demokraten" sah, wurde Schiller vom Nationalverein als "deutscher Volkscharakter" bezeichnet. Der Nationalverein rief im gleichen Jahr zu einer Spendenaktion für den Bau der deutschen Kriegsflotte auf. Hierfür spendeten Lüdenscheider Unternehmer und Bürger 1 276 Taler; das war der größte Betrag aller Ortsgruppen des Deutschen Nationalvereins, der sich für den Zusammenschluss der deutschen Fürstentümer zum Nationalstaat auch mit Hilfe einer gemeinsamen Streitmacht einsetzte.

Foto: Zwei Bahnsignale stehen auf 'HALT'. dazwischen ist in der Ferne eine Kirche zu sehen.
1874 wurde der Haltepunkt Brügge in Betrieb genommen und der Eisenbahnerort Brügge entwickelte sich. 1899 wurde die ev. Kirche eingeweiht.

 

Die nationale Einheitsbewegung gab ebenfalls dem Turnergedanken neuen Schub. Unter seinem Einfluss wurde 1861 der Lüdenscheider Turnverein gegründet. Er sah sein Ziel darin, durch geistiges und körperliches Training "dem Vaterland ganze, tüchtige Männer zu erziehen." (LTV 61, Festschrift 1911) Ihm folgte 1891 der sozialdemokratisch und ebenfalls vaterländisch geprägter TuS Jahn.
Der Regierungspräsident von Arnsberg hatte 1839 ein Verzeichnis von Straßen herausgegeben, die nicht von Fahrzeugen mit Radfelgen unter 4 Fuß Breite genutzt werden durften, um die Straßendecke zu schützen. Zu den "Kunststraßen" gehörten die von Altena über Lüdenscheid nach Halver und Radevormwald, die von Lüdenscheid durch das Versetal nach Werdohl und die von Lüdenscheid über Herscheid nach Plettenberg. Über den Umfang des Verkehrs gibt das Altenaer Kreisblatt vom 24.1.1852 Nachricht:
"Es ist wohl außer Zweifel, dass sämtliche Frachtgüter (und das zu ermittelnde Quantum würde gewiß eine enorme Ziffer liefern), welche sich zwischen Altena, Lüdenscheid, Mülheim und Köln, ja wohl gar die sich zwischen Iserlohn und Köln und dem Rheine bewegen, diese Straße passieren werden, so dass sie eine bedeutende Frequenz in Aussicht stellt. Zwischen Halver und den beiden Rheinstädten allein werden wöchentlich circa 200 Centner hin- und hergeschafft, also jährlich 10.000 Centner."

Die höhere Produktivität und das größere Handelsaufkommen führten zu der Forderung nach besseren Straßen, die von der öffentlichen Hand - besonders der Provinzialverwaltung - gebaut werden sollten. Aber der Eisenbahnbau kam dank privater Geldgeber schneller voran. 1860 wurde die Eisenbahnstrecke von Hagen nach Altena fertiggestellt und im Jahr darauf bis Siegen weitergeführt. Die Verbindung brachte den großen Vorteil des günstigen Transports der Kohle aus dem Muttental bei Witten zu den Eisenvorkommen von Siegen und umgekehrt. Altena, Werdohl und Plettenberg fanden so den Anschluss an die Verkehrswege der Zukunft. Die benachbarten Städte wie Lüdenscheid profitierten davon nur indirekt und waren im Nachteil.

Foto: Im Halbkreis sind Pferdefuhrwerke aufgestellt, im Hintergrund ein Wasserturm. Einige Personen sind zu erkennen.

1871 - 1880 kamen an den Gleisen in Brügge die Fuhrunternehmer zusammen,
um Waren zur Eisenbahn und von ihr in die Fabriken zu bringen.

   

Link: Zurueck zum Hauptmenue

Lüdenscheider Zeitbilder
Impressum/ Angaben gemäß § 5 TMG/ V.i.S.d.P.:
Lüdenscheider Zeitbilder, Lindenau 16, 58511 Lüdenscheid
Vertreten durch: Matthias Wagner, Telefon 02351 25138, info (at) lüdenscheider-zeitbilder (.) de
Gestaltung: Martin Sander/ Hans-Werner Hoppe